Montag, 31. Mai 2010

Bundespräsident Köhler tritt zurück

Bundespräsident Horst Köhler: Abgang nach Afghanistan-Äußerungen. DPA

31.05.2010- Paukenschlag in Berlin: Bundespräsident Horst Köhler ist überraschend zurückgetreten. Als Grund nannte das Staatsoberhaupt die Kritik an seinen Äußerungen zum Afghanistan-Einsatz. Er vermisse den Respekt vor seinem Amt.

Berlin - "Ich erkläre meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten", sagte Horst Köhler am Montag in Berlin. Der Bundespräsident begründete seine Entscheidung mit der Kritik an seinen Äußerungen im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr.

Köhler sprach seine kurze Rücktrittserklärung in seinem Amtssitz Schloss Bellevue. An seiner Seite stand Ehefrau Eva Luise. Beim Verlesen der Erklärung zeigte er sich tief bewegt. Dem Staatsoberhaupt standen Tränen in den Augen. Streckenweise versagte ihm die Stimme.

Die Unterstellung, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, entbehre jeder Rechtfertigung, sagte Köhler. Das lasse den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen.

Köhler hatte mit einer Äußerung für Empörung gesorgt, militärische Einsätze könnten auch den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands dienen. Er hatte gesagt, die Gesellschaft verstehe allmählich, dass ein Land wie die Bundesrepublik "mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren". Als Beispiel nannte er "freie Handelswege". Es gelte, "ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen, negativ bei uns, durch Handel Arbeitsplätze und Einkommen zu sichern". Es klang, als rechtfertige Köhler Wirtschaftskriege - und das ausgerechnet im Zusammenhang mit dem in Deutschland heiß umstrittenen Afghanistan-Einsatz.

Er hatte allerdings später darauf hingewiesen, er sei missverstanden worden. So habe sich diese Einschätzung nicht auf den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr bezogen. Vielmehr sei es ihm beispielsweise um den Einsatz gegen Piraten gegangen, hatte ein Sprecher des Präsidenten gesagt.

Der Rückzug mitten in der Euro-Krise könnte die schwarz-gelbe Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in schwere Bedrängnis bringen. Der 67-jährige Köhler war Kandidat von Union und FDP.

Es ist das erste Mal, dass ein deutscher Bundespräsident während seiner Amtszeit zurücktritt. Köhler war der neunte Inhaber des Amtes seit 1949. Der frühere Banker war erst im Mai 2009 für eine zweite Amtszeit gewählt worden.

2004 kam mit Köhler erstmals ein Nicht-Politiker ins höchste Staatsamt. Anders als seine Vorgänger war er nicht in ein politisches Netzwerk eingebunden. Dies ließ ihn oft auch unabhängiger agieren. Denn der 1981 in die CDU eingetretene Köhler war nie Parteimensch. Auch wenn es für seine Kritiker den Anschein hatte, agierte er im Schloss Bellevue nicht als Statthalter der Union. Mit öffentlichen Einlassungen zur Tagespolitik verärgerte er manches Mal auch Unions-Politiker. Recht bald nach seiner Wiederwahl wurde Köhler von Kritikern mangelnde Präsenz in der Öffentlichkeit vorgeworfen.

Dass er überhaupt für das Amt nominiert wurde, war Teil eines strategischen Plans. Als die Vorsitzenden von CDU und FDP, Angela Merkel und Guido Westerwelle, den damals weithin unbekannten Köhler aufstellten, spekulierten sie auf eine schwarz-gelbe Koalition nach der Bundestagswahl. Köhler kam ins Amt, aber die Koalitionspläne gingen 2005 noch nicht auf. Auch 2009 stand das bürgerliche Lager hinter Köhler - Union, FDP und Freie Wähler aus Bayern.

Köhler sagte, er habe seinen Entschluss auch Kanzlerin Merkel, Westerwelle und dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, mitgeteilt. Er habe auch Bundesratspräsident Jens Böhrnsen über seinen Schritt informiert. Der sozialdemokratische Bürgemeister von Bremen übernimmt vorübergehend die Amtsgeschäfte.

suc/AFP/DDP/dpa

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,697781,00.html