Mittwoch, 30. Dezember 2009

,,Ich mache Politik für 70 Millionen Versicherte"

30. Dezember 2009 - Von Stefan Vetter Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler über Reformen, Zusatzbeiträge und den nötigen Ausgleich zwischen Arm und Reich - Was wird aus der Praxisgebühr?


. Mit Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) hat zum ersten Mal ein ausgebildeter Arzt diesen Ministerposten inne. Das bestehende Gesundheitssystem hält er für sozial ungerecht. Doch wie will Schwarzgelb das System reformieren? Im ECHO-Interview spricht der Niedersachse über Reformen, Zusatzbeiträge und den nötigen Ausgleich zwischen Arm und Reich.

Philipp Rösler (FDP) wurde 1973 in Vietnam geboren und von deutschen Eltern adoptiert. Der promovierte Mediziner war kurze Zeit Minister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Niedersachsen, ehe er zum Bundesminister für Gesundheit berufen wurde. Das bestehende Gesundheitssystem hält er für sozial ungerecht.

ECHO: Herr Rösler, mit Ihnen sitzt zum ersten Mal ein ausgebildeter Arzt im Chefsessel des Bundesgesundheitsministeriums. Müssen Versicherte und Patienten befürchten, in Zukunft auf der Strecke zu bleiben?

Rösler: Nein, warum das denn? Als Bundesgesundheitsminister bin ich in erster Linie dafür verantwortlich, eine gute medizinische Versorgung für alle Versicherten sicherzustellen. Das ist auch der Grund, warum wir die Finanzierung des bestehenden Gesundheitssystems neu regeln wollen. Eine echte Gesundheitsreform muss das Ziel haben, das System robust für diese Zukunft auszugestalten. Das heißt, dass die Menschen die Gewissheit haben müssen, dass das Geld, das sie einbezahlen, am Ende auch für Vorsorge und Versorgung zur Verfügung steht.

ECHO: Also keine Klientelpolitik zu Gunsten der Mediziner?

Rösler: Im Gesundheitswesen gibt es viele Interessengruppen. Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser, die Pharmaindustrie, aber auch die Krankenkassen. Ich höre mir Sachargumente an, mache aber keine Politik für die eine oder andere Gruppe, sondern für die 70 Millionen Versicherten.

ECHO: Sie wollen das bestehende Gesundheitssystem grundlegend umkrempeln. Warum?

Rösler: Aus zwei Gründen: Erstens ist die finanzielle Ausgestaltung des bestehenden Systems zu sehr an den Faktor Arbeit geknüpft. Das führte in der Vergangenheit dazu, dass man mit regelmäßigen Spargesetzen versucht hat, die Sozialversicherungsbeiträge möglichst stabil zu halten. Zum zweiten ist das bestehende System nicht gerecht. Denn neben dem Prinzip ,,der Gesunde hilft dem Kranken" erfolgt über die gesetzliche Krankenversicherung auch ein Ausgleich zwischen Arm und Reich. Dieser Ausgleich gehört aber meiner Ansicht nach ins Steuersystem, weil nur dort alle Bürger mit allen Einnahmen und gemäß ihrer Leistungsfähigkeit einbezogen werden.

ECHO: Was ist daran solidarisch, wenn die Sekretärin nach Ihrem Modell einer Gesundheitsprämie zunächst genauso viel für die Gesundheit zahlen soll wie ihr Chef?

Rösler: Die Sekretärin wird ja nicht den gleichen Beitrag bezahlen wie ihr Chef. Jetzt ist es so, dass der Chef gar nicht in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlt, weil er im Regelfall, wenn sein Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt, in der Privaten Krankenversicherung versichert ist.

ECHO: Wo sollen die vielen Milliarden für den notwendigen Sozialausgleich herkommen?

Rösler: Milliardenbeträge werden wir nicht brauchen, da wir schrittweise und behutsam die gesetzliche Krankenversicherung umbauen wollen. Wir wollen dabei niemanden überfordern. Ob wir wirklich viel Geld für einen Sozialausgleich brauchen oder nicht, hängt davon ab, in welchen Schritten und in welchen Größenordnungen wir die Prämie einführen.

ECHO: Sie selbst sagen, dass die Gesundheitsprämie nur ,,in Schritten" umgesetzt werden kann. Das klingt, als bauten Sie damit schon Ihrer absehbaren politischen Niederlage vor.

Rösler: Da haben Sie einen völlig verkehrten Eindruck. So eine große Umstellung kann nur in mehreren Schritten erfolgen, das ist von vornherein klar gewesen und so mit den Koalitionspartnern vereinbart worden. Lieber in kleinen Schritten nach vorne, als einen großen zurück.

ECHO: Wie viel Gesundheitsprämie soll denn in dieser Wahlperiode konkret umgesetzt werden?

Rösler: Das kann man erst seriös diskutieren, wenn erste Ergebnisse und Zahlen der Regierungskommission auf dem Tisch liegen. Die Kommission wird Anfang nächsten Jahres von mir eingesetzt.

ECHO: Vorerst plagt die Versicherten das bestehende System und damit die drohenden Zusatzbeiträge. Sind sie wirklich unausweichlich, oder können sie von Ihnen noch verhindert werden?

Rösler: Die Möglichkeit der Kassen, Zusatzbeiträge zu erheben, ist aktuelle Gesetzeslage. Das ist so von der Großen Koalition in der letzten Legislaturperiode beschlossen worden. Um die krisenbedingten Einnahmeausfälle abzufangen, fließen 2010 zusätzlich 3,9 Milliarden Euro in die gesetzliche Krankenversicherung. Diese Notwendigkeit hat auch den Bundesfinanzminister überzeugt.

ECHO: Die Zusatzbeiträge sind bei einem Prozent vom beitragspflichtigen Bruttolohn gedeckelt. Planen Sie, diese Grenze anzuheben oder ganz abzuschaffen, um dem wachsenden Finanzbedarf der Kassen Rechnung zu tragen?

Rösler: Es ist richtig, dass der Zusatzbeitrag auf ein Prozent des Bruttoeinkommens begrenzt ist. Wobei bis acht Euro keine Einkommensprüfung erfolgt. Bei höheren Beträgen müssten die Kassen eine Einkommensprüfung durchführen. Im Übrigen: Die Vorgängerregierung hat dafür keinen Sozialausgleich vorgesehen. Einzig den Deckel aufheben, macht kein Sinn.

ECHO: Man könnte ja auch bei den Ausgaben sparen, um das System bezahlbar zu halten. Aber dazu hat man von Ihnen bislang nichts Konkretes gehört.

Rösler: Wir wollen nicht kurzfristig mit bloßen Kostendämpfungsgesetzen reagieren. Die gab es in der Vergangenheit genug und häufig zu Lasten der Versicherten. Wir werden das System insgesamt reformieren, da gibt es für keinen der Beteiligten einen Freibrief, aber dafür ein faires System. Klar ist: Es gibt auch bei den Ausgaben Möglichkeiten, um die Beiträge der Versicherten effizienter einzusetzen.

ECHO: Sie selbst haben sich für eine Abschaffung der Praxisgebühr ausgesprochen. Wie sollen die dann fehlenden Einnahmen in Höhe von anderthalb Milliarden Euro beglichen werden?

Rösler: Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Lenkungswirkung der Praxisgebühr überprüft wird. Darauf aufbauend wollen wir ein unbürokratisches Erhebungsverfahren erarbeiten.

http://www.echo-online.de/nachrichten/hintergruende/art2638,513891