Samstag, 13. Februar 2010

Rupert Neudeck (Cap Anamur): »Entwicklungshilfe hat versagt«

Gießen (fd). Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung müsse endlich abgeschafft werden, forderte Rupert Neudeck im Rahmen eines vom Gießener Verein »Pallium« organisierten Vortrags am Mittwoch im überfüllten Konzertsaal des Rathauses.

Der Journalist und Autor äußerte sich zu Sackgassen sowie möglichen Alternativen in der Entwicklungszusammenarbeit und erklärte: »Die westliche Entwicklungshilfe der letzten 50 Jahre hat versagt.«

Neudeck hatte erstmals 1979 durch seine spektakuläre Rettungsaktion tausender vietnamesischer Flüchtlinge aus dem Chinesischen Meer mit dem Rettungsschiff »Cap Anamur« weltweit Aufsehen erregt. Er spricht sich seit 30 Jahren für eine Neuausrichtung im europäisch-afrikanischen Verhältnis aus.

Popstars wie Bono oder Bob Geldof seien die neuen Köpfe der Entwicklungshilfe, sagte der 70-Jährige. »Diese Leute fordern immer mehr Gelder für Afrika ein, doch wo bleibt die Entwicklung?«, kritisierte Neudeck den Ansatz. Der Süden müsse sich stattdessen selbst entwickeln. Da könne eine Politik, welche die Entwicklungsländer mit Geld und Nahrung überfluten wolle, nur kontraproduktiv sein. Ohnehin wisse man in Europa anscheinend nicht genau, was man denn eigentlich wolle: »Schon Willy Brandt machte deutlich, dass wir mit Agrarsubventionen mindestens so viel kaputt machen, wie wir durch Entwicklungshilfe reparieren wollen«, verwies der Troisdorfer auf Widersprüche in der deutschen und europäischen Politik, die seit 30 Jahren niemand ernsthaft angehe. Doch auch die Entwicklungshilfe selbst sei eine einzige Fehlkonstruktion: Mittlerweile lebe ein ganzer Industriezweig von der Idee, andere Länder entwickeln zu müssen. »Dabei müsste es das eigentliche Ziel der Entwicklungshilfe sein, sich selbst überflüssig zu machen«, meinte Neudeck. Dies stehe aber schon lange nicht mehr zur Diskussion.

Anstatt ständig neue Experten zu schicken, solle es sich Europa zum Ziel machen, Migranten auszubilden und ihnen mithilfe von Krediten zu ermöglichen, in ihren Heimatländern eigene Betriebe ins Leben zu rufen. Unerwartet positiv äußerte sich Neudeck vor diesem Hintergrund auch über die Arbeit des neuen Bundesentwicklungsministers Dirk Niebel, der kurz nach Amtsantritt bereits als ersten Gast in seinem neuen Berliner Ministerium Mohammad Yunus empfangen hatte. Der Wirtschaftswissenschaftler aus Bangladesh hatte vor vier Jahren den Friedensnobelpreis für seinen Einsatz für Mikrokredite erhalten.

Einzig auf diesem Weg - mit der Ausbildung von Migranten und der Vergabe von Kleinstkrediten - könne Europa »auf eine Völkerwanderung reagieren, die unausweichlich ist«, sagte Neudeck. Gleichzeitig könne man von der afrikanischen Kultur und der Lebensformen viel lernen. »Die Kommunikation darf nicht nur in eine Richtung verlaufen«, forderte er einen gleichberechtigten Dialog. »Afrika kommt mit unglaublicher Kraft auf uns zu«, so Neudeck.

Der Veranstalter des Vortrags, der Gießener Verein »Pallium«, verbindet Forschung und Hilfe für soziale Projekte. Neben ideeller und finanzieller Unterstützung von AIDS-Projekten im südlichen Afrika wird regelmäßig ein Workcamp mit Studierenden der Justus-Liebig-Universität in Namibia durchgeführt.

Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz drückte in ihrem Grußwort ihre Freude darüber aus, dass der Verein den Konzertsaal des Rathauses so sinnvoll nutze.

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