Wie gestrandete Deutsche in Vietnam sehnsüchtig hoffen, dass bald wieder ein Flugzeug startet und sie nach Hause bringt.
Von Ilga Gäbler
Hanoi - Eigentlich müsste Florian Langlotz heute wieder in der Vorlesung in Weimar sitzen. Eigentlich. Der junge Mann studiert Baumanagement an der Bauhaus-Universität. Stattdessen steht er Tausende Kilometer von Thüringen entfernt in einer Schlange vor dem Mausoleum für Ho Chi Minh, jenem Staatsmann und Revolutionär, den die Vietnamesen so sehr verehren.
Die Aschewolke, die nunmehr seit Tagen wie eine schwerfällige Dunstglocke über Europa wabert, hält den jungen Mann aus Weimar - wie viele andere europäische Touristen auch - in der vietnamesischen Hauptstadt fest. Sein Rückflugticket nach Deutschland galt für Samstagabend. Kurz nach halb zwölf wäre die Maschine von Vietnam Airlines in Hanoi abgehoben und am frühen Sonntagmorgen in Frankfurt/Main gelandet. Wäre es nach Plan gegangen. Es kam aber anders, ganz anders. Ein Vulkan im fernen Island, dessen Name der reinste Zungenbrecher ist, durchkreuzt alle Pläne.
Ein tröstendes Lächeln
"Wer rechnet schon damit, dass ein bis dato unbekannter Berg den Flugverkehr rund um den Erdball lahm legt und ein unvorstellbares Chaos auslöst", sagt Florian Langlotz. "Und es ist kein Ende in Sicht." Nach mehrfachen Nachfragen und Anrufen bei Vietnam Airlines, der vietnamesischen Fluggesellschaft, war schließlich schon am Samstagnachmittag klar: Der Flug nach Frankfurt ist gestrichen. Vorerst. Kein Flugzeug startet und landet. Einziger Trost: Das Flugticket bleibt gültig. Es wird umgebucht. Doch wann der nächste Airbus nach Deutschland aufsteigt, steht in den Sternen.
Jetzt heißt es, sich in Geduld zu üben. Es gilt der Rat der hübschen Vietnamesin am Infoschalter: "Fragen Sie morgen nach 14 Uhr wieder nach." Sie lächelt dabei, als ließe sich so der Frust der schockierten Reisenden leichter ertragen. Kulant ist auch das Hotel, in dem er untergebracht ist: Er kann bis Montagabend bleiben. Bis dahin ist das Zimmer frei.
Der Student sieht die Situation gelassen. Ein bisschen Zwangsurlaub nach sechs Wochen Praktikum in einem Bauingenieurbüro in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, kann schließlich nicht schaden. Der junge Mann aus Weimar hat dort an der Entwicklung eines Dorfes mitgearbeitet. Im Süden Vietnams, am Meer soll es entstehen - völlig autark sein und ausschließlich auf ökologischer Basis funktionieren. Es ist für Florian Langlotz ein spannendes, einmaliges Projekt. "Vietnam ist für Studenten und Berufseinsteiger ein interessantes Land mit Zukunft. Man kann dort noch Visionen entwickeln, die in Deutschland nicht mehr möglich sind." Das war auch der Grund dafür, dass Florian Langlotz in diesem Frühjahr erneut zum Praktikum in das südostasiatische Land reiste. Im vergangenen Jahr war er schon einmal da. Probleme mit dem Flug gab es nicht.
Nun ist der Student unterwegs, um den Norden Vietnams zu erkunden. Eigentlich müsste da eine unfreiwillige Urlaubsverlängerung doch gerade recht kommen. Sicher, wären da nicht die Mehrkosten im Hotel, die das Budget des Studenten empfindlich überschreiten. Die vietnamesische Fluggesellschaft will von einer Rückerstattung freilich nichts wissen und die Aschewolke über Europa ist für die Asiaten weit weg. Es kümmert sich auch kein Reiseunternehmen um die Individualtouristen. Der Student aus Weimar und seine Freundin sind auf sich gestellt. Tausende Kilometer von der Heimat entfernt ist jeder sein eigener Krisenmanager.
Das gilt auch für die beiden deutschen Geschäftsleute Carsten Pleißner aus dem sächsischen Oschatz und Michael Pfeifer aus Cottbus. Carsten Pleißner, Geschäftsführer eines Ingenieurbüros, ist zum zweiten Mal nach Vietnam gekommen, um mit deutscher und europäischer Technologie den vietnamesischen Markt auf dem Abfallverwertungssektor zu erschließen. "Wir sind hier, um eine Kreislaufwirtschaft im Land aufzubauen. Mit dem zunehmenden Wohlstand wächst auch das Müllaufkommen ständig. Das ist ein großes Problem für die Vietnamesen. Sie verbuddeln den Müll einfach im Boden. Es geht aber darum, ihn zu recyceln", erklärt er. In dieser Mission hat der Geschäftsmann aus Sachsen mehrere Termine in Saigon und Hanoi wahrgenommen. "Dass Vietnam einer der sogenannten asiatischen Tigerstaaten ist, ist offensichtlich. Wir sollten deshalb die Geschäfte, die sich uns hier bieten, nutzen. Wenn wir's nicht tun, tun es andere", sagt Pleißner.
Urlauber organisieren sich
Eigentlich wollte er zu Wochenbeginn zurück nach Deutschland fliegen. Doch das hat sich nun erledigt. Aber in Zeiten von Internet und Handy sieht der Manager aus Sachsen den längeren Stopp in Hanoi nicht so tragisch. "Ich stehe mit meiner Firma zu Hause in Oschatz ständig in Kontakt. Dort läuft die Arbeit weiter." In Vietnam hat er kurzfristig mit seinen Geschäftspartnern zusätzliche Gespräche vereinbart, um die Wartezeit sinnvoll zu nutzen. Er sagt: "Natürlich ist das eine unangenehme Situation, aber man muss das Beste daraus machen." Länger als eine Woche sollte aber das Asche-Chaos über Europa nicht dauern. Nächste Woche wartet auf ihn ein wichtiger Termin in Bukarest. Nun sinnt er darüber nach, erst einmal über Singapur und Istanbul weiter nach Wien zu kommen. Über Österreich soll der Flugraum frei sein. Das hat er heute jedenfalls im Fernsehen bei der Deutschen Welle gehört.
Jede Nachricht aus der Heimat macht unter den wenigen gestrandeten Deutschen im Hotel blitzschnell die Runde. Jede freie Minute wird gechattet, um ja keine Neuigkeit zu verpassen. Vielleicht dreht der Wind doch, vielleicht zieht die Wolke weiter, vielleicht öffnen die Flughäfen irgendwann länger als drei Stunden. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Nicht genug Flieger
Mittlerweile hat sich die kleine Gruppe Deutscher organisiert. Michael Pfeifer, Chef eines Ingenieurbüros aus Cottbus, der seit fünf Jahren in der Abfallwirtschaft und auf dem Gebiet alternativer Energien in Vietnam tätig ist, hält den ständigen Kontakt zur Fluggesellschaft. Was man von dort hört, stimmt wenig hoffnungsfroh. Die Maschinen, die normalerweise täglich von Hanoi oder Saigon nach Deutschland starten, sind völlig ausgebucht. Selbst wenn der Luftraum über Deutschland wieder freigegeben ist, haben die Gestrandeten nicht gleich eine Chance, überhaupt einen Platz in einem der Jets zu ergattern. Wer am meisten für sein Ticket gelöhnt hat und Gold-Card-Besitzer ist, fliegt zuerst. Normal-Touristen müssen sich hinten anstellen. Jeder kann sich ausrechnen, wann er bei Tausenden Wartenden an der Reihe ist. So schnell wird er seine Heimat nicht wiedersehen. Ganz zu schweigen von den gut betuchten Vietnamesen. Die hätten die dicksten Brieftaschen und die besten Karten bei der Platzvergabe, spricht man hinter vorgehaltener Hand. Verständlicherweise geht nun unter den Touristen die Angst um: Was, wenn wieder geflogen wird und der große Run auf die freien Plätze einsetzt? Vietnam Airlines verfügt über zu wenige Maschinen. Viele Deutsche, die nach all dem Chaos schnell nach Hause wollen, fühlen sich von ihrem Heimatland mit den Problemen allein gelassen.
Wer Vietnam besucht, muss sich gedulden. Das spürt auch der Student aus Weimar, der Ho Chi Minh im Mausoleum sehen will. Den einbalsamierten Onkel Ho, wie ihn die Vietnamesen nennen, stört in seinem Glassarkophag weder der tosende Verkehr auf der Straße, noch der Lärm um die Aschewolke. Wer zu ihm will, muss warten, in einer kilometerlangen Schlange - ohne zu murren.
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