Freitag, 5. März 2010

Anpasser und Duckmäuser unerwünscht

Von Ralf Euler, Saigon

Ministerpräsident Roland Koch eröffnete im September 2008 zusammen mit dem Gründungspräsidenten Wolf Rieck die neue deutsch-vietnamesische Universität

23. Februar 2010 - Als Udo Corts im Frühjahr 2007 nach Vietnam flog, um das Projekt einer hessisch-vietnamesischen Universität auf den Weg zu bringen, wurde der damalige Minister für Wissenschaft und Kunst noch von vielen belächelt. Ein Bundesland mit gerade einmal sechs Millionen Einwohnern als Akteur auf der Bühne der internationalen Politik, das erschien Skeptikern als Beweis für die hemmungslose Selbstüberschätzung der CDU-geführten Hessischen Landesregierung. Inzwischen ist die Vietnamesisch-Deutsche-Universität in Saigon (Ho-Chi-Minh-Stadt) nicht mehr nur Vision, und Corts' Traum von einer Campus-Hochschule mit mehreren tausend Studenten könnte bis zum Ende des Jahrzehnts wahr werden.

Im September 2008 wurde die Hochschule vom hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und dem vietnamesischen Vizepremier- und Wissenschaftsminister Nguyen Thien Nhan eröffnet. Mit 35 Studenten der Elektrotechnik fing es an, inzwischen sind vier weitere ingenieurwissenschaftliche Studiengänge hinzugekommen, und die Zahl der Absolventen ist auf 110 gestiegen - die Hälfte von ihnen sind Frauen. Noch wird in Gebäuden auf dem Gelände der Nationaluniversität gelehrt, aber schon im nächsten Jahr soll einige Kilometer entfernt, am Rande Saigons, mit dem Bau eines eigenen Campus begonnen werden.

„Wir wollen die besten Köpfe Vietnams für uns gewinnen“

Das zunächst rein hessisch-vietnamesische Reformprojekt steht inzwischen auf einer breiteren Basis: Ebenso wie das Land Hessen trägt mittlerweile auch der Bund 1,5 Millionen Euro jährlich zu dem Projekt bei, das in enger Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst und dem World University Service realisiert wird. Deutsche Unternehmen haben erkannt, dass es sich lohnt, bei diesem Renommiervorhaben als Förderer dabeizusein, mit dem Hintergedanken, über das Engagement für die Universität im vietnamesischen Markt Fuß zu fassen.

„Wir wollen die besten Köpfe Vietnams für uns gewinnen“, hatte Wissenschaftsminister Corts bei der Gründung der Universität gesagt. Gerade kleine und mittelständische hessische Unternehmen könnten vom bisher von Deutschland kaum erschlossenen, aber schnell wachsenden vietnamesischen Markt profitieren. Passend dazu unterhält Hessen als einziges deutsches Bundesland in Hanoi ein Verbindungsbüro zur Unterstützung der Beziehungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung.

„Ein wichtiger Zukunftsmarkt für die hessische Wirtschaft“

Nicola Beer (FDP), Staatssekretärin im Justiz- und Europaministerium, sieht das Engagement in Südostasien als gewinnbringende Investition für alle Beteiligten. „Vietnam ist nicht nur ein wichtiger und ausgesprochen dynamischer Zukunftsmarkt für die hessische Wirtschaft“, sagte sie nach einem Arbeitsbesuch in dem Land im vergangenen November. „An Vietnam wird schon bald kein Weg mehr vorbeiführen.“ Die Vietnamesisch-Deutsche-Universität spiele schon eine herausragende Rolle in der Hochschullandschaft des Landes. Sie sei „Vorreiter in Sachen Hochschulautonomie, zudem findet hier kultureller und wissenschaftlicher Austausch auf hohem Niveau statt.“

Eine selbstverwaltete Universität war für das kommunistische Regime nicht einfach zu akzeptieren, zumal die Hochschule Maßstäbe für Forschung, Lehre und Verwaltung setzen soll. Man sah ein politisches Risiko darin, dass dort eben keine Anpasser und Duckmäuser, sondern selbstbewusste und kritische junge Menschen erwünscht sind. Vor allem aber sollen es die Intelligentesten unter den jungen Vietnamesen sein. Bei der zentralen Hochschulaufnahmeprüfung in Vietnam sind maximal 30 Punkte zu erreichen, und während gute einheimische Universitäten von Studienanfängern ein Minimum von 20 Punkten erwarten, sind es an der neuen Hochschule mindestens 23 Punkte. Um die besten Lehrer zu verpflichten, bietet die Universität ein Gehalt, das deutlich über den landesüblichen Angeboten liegt.

Studenten engagiert und leistungsorientiert

35 Elektrotechnik-Studenten waren im ersten Jahr eingeschrieben, in zehn Jahren sollen es bis zu 5000 sein. In einem Vorbereitungsjahr werden zunächst die Englischkenntnisse der jungen Vietnamesen auf ein einheitliches Niveau gebracht, denn der Fachunterricht wird von den deutschen Professoren nicht in Deutsch, sondern in Englisch gehalten. Nur so lassen sich genügend Interessenten finden, sagt Uni-Präsident Wolf Rieck, ehemals Präsident der Fachhochschule Frankfurt. Immerhin: Obligatorischer Bestandteil des Lehrprogramms sind auch Grundkurse in Deutsch, damit die Absolventen ihr Examen auch auf Deutsch in Vietnam oder in Deutschland ablegen können. Nach offiziellen Angaben sprechen mehr als 100.000 Vietnamesen Deutsch, vor allem wegen der engen Beziehungen der sozialistischen Republik Vietnam zur ehemaligen DDR. In Deutschland leben nach Auskunft des hessischen Wissenschaftsministeriums rund 125.000 Menschen vietnamesischer Herkunft, darunter 4000 in Hessen.

Engagiert und leistungsorientiert, so hat Staatssekretärin Beer die Studenten in Saigon erlebt. Kein Wunder: Mehr als die Hälfte der Vietnamesen ist jünger als 25 Jahre. Bildungsehrgeiz muss nicht erst geweckt werden; wer raus aus dem Elend möchte, wer auf eine bessere Zukunft hofft, muss lernen. „Ein besseres Leben“, das wollen hier alle haben. Am liebsten in einem modernen Industriestaat, und wenn man fragt, in welchem, wird gleich nach Japan, Australien und Amerika „Germany“ als Wunschziel genannt.

Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa

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