Mittwoch, 31. März 2010

Kohls 80. Geburtstag: Der Einsame und sein Mädchen

Helmut Kohl ist ihr Entdecker, sie müsste ihm dankbar sein - doch Angela Merkel stürzte den Altkanzler vom Thron des CDU-Ehrenvorsitzes. Jetzt kommt sie als Lobrednerin und Regierungschefin zu seinem 80. Geburtstag. Gerd Langguth über zwei Meister der Macht und ihr kompliziertes Verhältnis.

Niemand hat die CDU so geprägt wie Helmut Kohl. 25 Jahre war er Parteivorsitzender, 16 Jahre lang regierte er als Kanzler. Paradoxerweise war es aber auch Kohl, der den Niedergang der Union als Volkspartei eingeleitet hat: 1998 erreichte sie nur noch 35,1 Prozent an Wählerzustimmung. Bis dahin erzielte sie - sieht man von 1949 ab - immer mehr als 40 Prozent.

Kohl hat sich an seiner Partei versündigt, weil er nicht rechtzeitig Parteivorsitz und Kanzleramt in jüngere Hände übergab - etwa an den "ewigen Kronprinzen" Wolfgang Schäuble. Kohl wollte nicht nur Bismarck und Konrad Adenauer in der Länge der Amtszeit übertreffen, er wollte auch "Kanzler der Jahrtausendwende" werden.

Es war konsequent, dass er 1998 als Parteichef zurücktrat. Aber er durfte in die Rolle des Ehrenvorsitzenden schlüpfen. Das war ihm wichtig, gab ihm doch diese Funktion Sitz und Stimme in allen Führungsgremien. Nachfolger Schäuble muss die Präsenz des wuchtigen Kohl eher als erdrückend denn hilfreich empfunden haben.

Kohl tat in diesen Sitzungen weiterhin so, als wäre er selbst noch der Chef. Er hielt lange Reden, gab seinem Nachfolger und dessen Generalsekretärin Angela Merkel kaum Luft zum Atmen. Wie gewohnt nahm er zum Ende seinen Taschenkalender aus dem Jackett, um als erster Terminvorschläge für die nächsten Sitzungen zu machen - ein Privileg des Vorsitzenden.

Angela Merkels fundamentale Kohl-Kritik

Kohl hat sich an seiner Partei auch wegen des Spendenskandals versündigt, den er verantwortete und der Ende 1999 ans Licht kam. Deshalb verlor er nach gut einem Jahr seinen Ehrenvorsitz - und auch Schäuble musste zurücktreten. Beide wurden in einer dramatischen Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion heftig attackiert und stießen sich gegenseitig vom Sockel. Sie hatten sich durch ihre Schuldzuweisungen bezüglich der Gelder des "Kaufmanns" Karlheinz Schreiber öffentlich so zerstritten, dass sich ihr Rücktritt nicht mehr vermeiden ließ.

Die damalige Generalsekretärin hat zum Abgang der beiden beigetragen. Mit einem Artikel in der "Frankfurter Allgemeinen" vom 22. Dezember 1999 fachte sie die Unzufriedenheit mit Kohl und Schäuble weiter an. In diesem Artikel forderte sie die Union auf, sich von Kohls Spendenpraktiken zu distanzieren. Sie verglich diesen Prozess mit der Pubertät von Kindern, die sich vom Elternhaus emanzipieren müssten.

Merkel hatte pikanterweise in der "FAZ"-Redaktion angerufen und von sich aus ein Interview oder einen Artikel angeboten. Fünf Minuten nach diesem Telefonat kam bereits das Fax mit dem Text. Obwohl es ihre Loyalität zu Schäuble geboten hätte, setzte sie ihn von dieser fundamentalen Kohl-Kritik nicht rechtzeitig in Kenntnis.

Merkel wusste zu diesem Zeitpunkt als Einzige - vielleicht mit Ausnahme Kohls -, dass Schäuble den Bundestag belogen hatte. Bei einer Zwischenfrage bestritt er, von Schreiber Geld angenommen zu haben.

Merkel wusste, dass Schäuble beim Bekanntwerden dieses Sachverhalts nicht zu halten sein würde. Sie musste befürchten, mit ihm von der Bildfläche zu verschwinden. Jeder Parteivorsitzende, das ist ungeschriebene Regel, sucht sich "seinen" Generalsekretär selbst aus. Sie wird sich gedacht haben: Besser, sich selbst an die Spitze der Reformbewegung zu setzen, als zu riskieren, dass der neue Parteivorsitzende sie nicht als Generalsekretärin übernimmt.

Vor fast zehn Jahren - im April 2000 in Essen - wurde sie dann zur CDU-Vorsitzenden gewählt. Ohne Kohls Spendenskandal, unter normalen Umständen, hätte Merkel als Ostdeutsche nie eine Chance auf den Parteivorsitz gehabt. Zumal sie damals über kein wirkliches Netzwerk verfügte.

Der rasante Aufstieg von "Kohls Mädchen"

Vor allem müsste Merkel Kohl dankbar sein, weil er sie entdeckte und ihr eine beispiellose Blitzkarriere eröffnete. Interessanterweise hatte die damals 36-jährige Noch-DDR-Bürgerin, stellvertretende Regierungssprecherin unter Lothar de Maizière, Kandidatin für den Bundestag im nordöstlichsten Wahlkreis der Bundesrepublik in Mecklenburg-Vorpommern die Chuzpe besessen, von sich aus um ein Gespräch bei Kohl nachzusuchen, obwohl sie völlig unbedeutend war.

So kam es am Vorabend des Hamburger "Vereinigungsparteitages" vom 1. Oktober 1990 zu einem halbstündigen Gespräch mit Kohl in einem Nebenraum. Kohl hatte von ihr einen solch guten Eindruck, dass er sich vornahm, im Falle seiner Wiederwahl Merkel in sein Kabinett zu holen. Wenige Monate später, im Januar 1991, war sie Bundesministerin für Frauen und Jugend.

Anfänglich empfand sie für Kohl tiefe Bewunderung. Aber die Bezeichnung "Kohls Mädchen" wurmte sie - und spätestens nach den Wahlen 1994 begann sie zu erkennen, dass Kohls Tage als Kanzler gezählt waren. Sie orientierte sich immer mehr an Schäuble, einst Kanzleramtsminister, dann Innenminister und zum Schluss Fraktionsvorsitzender. Je länger Kohl selbstgerecht regierte, sah sie in Schäuble den starken Mann der Zukunft.

Er hat sie zur Überraschung vieler am 7. November 1998 auf dem Parteitag zur Generalsekretärin ausgerufen.

Natürlich wird Merkel auf der Geburtstagsfeier für Kohl ihre Bewunderung für den Kanzler der Einheit und den langjährigen Parteivorsitzenden zum Ausdruck bringen. Das muss sie schon in ihrer Eigenschaft als CDU-Chefin tun. So sehr der Spendenskandal Kohl anhängt, so hat er doch historische Verdienste: Ihn kann man getrost als "Vater der deutschen Einheit" bezeichnen. Auch hat er durch seine "Männerfreundschaften" mit George Bush senior und Michail Gorbatschow so viel Vertrauen erworben, dass die internationalen Mächte die Einheit nicht behinderten.

Kanzler der Einheit, Vater des Euro

Die deutsche Einheit brach durch die DDR-Zerfallserscheinungen und mutige Bürgerrechtler einfach über Kohl herein, er hat diesen Prozess aber klug begleitet und gelenkt. Noch mehr kann man ihn als "Vater des Euro" bezeichnen: Ohne Kohl wäre es nicht zur Einheitswährung gekommen. Er wusste, dass das Ende der beliebten Mark höchst unpopulär war. Er musste damit rechnen, bei den Bundestagswahlen 1998 die Quittung zu bekommen.

Merkel versucht, an den europapolitischen Traditionsstrang Kohls anzuknüpfen. Wirklich dankbar dürfte sie ihm nicht sein. Dankbarkeit gibt es in der rauen Wirklichkeit der Politik kaum. Sie dürfte manche Verletzungen in Erinnerung haben, die ihr Kohl zufügte. In ihrer Zeit als Umweltministerin brach sie bei einer Kabinettssitzung in Tränen aus, weil sie sich von Kohl in Stich gelassen fühlte.

Zweifellos gibt es auch innerparteilich so etwas wie eine Kohl-Renaissance. Die Geburtstagsfeierlichkeiten werden eher ein mildes Licht auf den Pfälzer werfen. Wegen der Angeschlagenheit Kohls finden sie weitgehend in Ludwigshafen statt.

Aber Merkel wollte sich den Forderungen aus der Partei nicht anschließen, die Post möge aus Anlass des Geburtstags eine Sonderbriefmarke herausbringen - merkwürdigerweise hat die Regierung immer noch das Recht, über Briefmarken zu entscheiden. Tatenlos blieb Merkel auch, als sie aufgefordert wurde, Kohl wieder den Ehrenvorsitz anzutragen. Nur wenn das geschähe, wäre Kohl vielleicht bereit, sich mit Merkel auszusöhnen.

Es ist dem Altkanzler schon immer schwer gefallen, wieder auf Menschen zuzugehen. Außer ihm selbst feiern in diesen Tagen drei Weggefährten runde Geburtstage. Alle haben sich mit ihm zerstritten.

Heiner Geißler, sein immer noch medienpräsenter Sozialminister aus rheinland-pfälzischen Tagen und früherer Generalsekretär, begeht seinen 80. Geburtstag. Ebenso Kohls Klassenkamerad Kurt Biedenkopf, den er zu seinem ersten Generalsekretär machte. Richard Freiherr von Weizsäcker, den Kohl während seiner Zeit als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident für die Politik entdeckte und der später Bundespräsident werden sollte, wird am 15. April 90 Jahre alt.

Eine der besonderen Fähigkeiten Kohls war es, Politiker zu entdecken - von Weizsäcker bis Merkel. Langanhaltende Freundschaften ergaben sich daraus nie.

Macht macht einsam.

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,druck-685035,00.html