Von Christian Geinitz, Peking
23. März 2010 Wang Xiaoyun möchte ihre neue Freiheit gleich ausprobieren. Die junge Frau blickt sich etwas verstohlen in einem Pekinger Internetcafé um und tippt dann „Tiananmen“ in ihren Computer ein. So lautet der chinesische Name für den Platz des Himmlischen Friedens, auf dem die Staatsmacht im Juni 1989 die Proteste von Studenten gewaltsam niederschlug. Internet-Seiten zu dem Massaker sind in China gesperrt, ebenso wie solche zu anderen Tabu-Themen wie zum Dalai Lama oder zu den Unruhen in Xinjiang und Tibet. Doch seit gestern Nacht, hofft Wang, ist einiges anders geworden im chinesischen Internet. Dank Google.
Am Morgen hatte sie erfahren, dass das amerikanische Unternehmen Anfragen an seine Suchmaschine in China auf die Google-Seite in Hongkong weiterleitet. Weil das Internet in der Sonderverwaltungszone nicht zensiert wird, hatten viele Online-Medien auch den Festlandchinesen ungefilterte Inhalte versprochen. Wang ist aufgeregt. Schon beim Eingeben der Internetadresse hat sie sich zweimal verschrieben. Nachdem sie endlich google.cn eingetippt hat, ändert sich die Adresse von selbst in den Hongkonger Zugang www.google.com.hk. Es gibt 11 Millionen Einträge zu „Tiananmen“, gleich der zweite verweist auf das Massaker von 1989. Wang hält den Atem an und klickt auf den Link. Es erscheint eine Fehlermeldung - die Seite ist blockiert. „Wie früher auch“, sagt die Neunundzwanzigjährige enttäuscht. Erst später, auf einem Laptop mit Zugang zu ausländischen Netzwerkrechnern, wird sie die Verbindung zu den blutigen Bildern öffnen können. „Das habe ich noch nie gesehen“, sagt sie erschüttert. „Vielleicht will ich es auch nie wieder sehen.“
Quelle: http://www.faz.net/s/RubD16E1F55D21144C4AE3F9DDF52B6E1D9/Doc~EA699C782C03747449281456F8C73DC67~ATpl~Ecommon~Scontent.html