Dienstag, 23. März 2010

Das 50-Milliarden-Bett: Der Streit um die Bauxit-Vorkommen in Vietnam

Günter Giesenfeld
Günter Giesenfeld ist Vorsitzender der Freundschaftsgesellschaft Vietnam, Autor von Büchern und Artikeln zu Indochina. Professor für Neuere deutsche Literatur und Medien an der Philipps-Universität Marburg, Lehre und Forschungsprojekte zu den Massenmedien, Filmhistoriker und Filmemacher.

Was als eine normale, eigentlich positive Aktion zur Förderung des technologisch-wirtschaftlichen Fortschritts begann, wurde in Vietnam zu einer heftigen, grundsätzlichen Auseinandersetzung mit fast historischen Ausmaßen. Der Bauxit-Streit, erstmals in aller Öffentlichkeit ausgetragen, wirft ein Schlaglicht auf viele ungelöste Fragen der gegenwärtigen Situation des Landes.
 
Die „Sache“, um die es primär geht, ist ganz einfach: Man weiß seit langem, daß es in Vietnam, vor allem im zentralen Hochland, größere Vorkommen eines Mineralgemischs namens Bauxit gibt, das für die Produktion von Aluminium der wichtigste Rohstoff ist. Nachdem in einigen anderen Ländern mit solchen Vorkommen der Abbau von Bauxit wegen Ausschöpfung der Lagerungen bereits eingestellt wurde, geraten die vietnamesischen ins Blickfeld nicht nur der Regierung, sondern auch der internationalen Aluminiumindustrie. Diese vietnamesischen Vorräte sind inzwischen die drittgrößten der Welt.

Die Motive

In dieser Situation hatte die vietnamesische Regierung beschlossen, diese Bodenschätze nunmehr auszubeuten bzw. ausbeuten zu lassen, wovon man sich große wirtschaftliche Vorteile und finanzielle Einnahmen verspricht. Die Befürworter dieser Maßnahme dürften vor allem von drei Motiven in ihrem Vorgehen bestärkt worden sein:

Einmal erscheint es als unsinnig, „auf einer solchen Menge Geldes zu schlafen“1, sich einen möglichen Gewinn von geschätzt 50 Mrd. US-$ entgehen zu lassen.

Das zweite Argument ergibt sich aus einem langfristigen und einem kurzfristigen wirtschaftlichen Druck: Die rasante wirtschaftliche Entwicklung Vietnams beruht auf einem starken, seit Jahren gleich bleibenden hohen Wirtschaftswachstum. Dieses Wachstum ist nur beizubehalten, wenn ständig neue Impulse in die Wirtschaft eingehen. Diese können von außen kommen (Investitionen), haben aber auch zur Voraussetzung, daß die eigenen Ressourcen immer mehr erschlossen werden, daß die Industrialisierung mit neuen Betrieben fortschreitet. Aktuell ist das Wirtschaftswachstum Vietnams durch die globale Krise stark zurückgegangen, ja sogar gefährdet. In dieser Situation kommt eine solche Möglichkeit, die Krise mit einem ganz neuen Produkt zu überwinden, wie gerufen.

Und es gibt, drittens, einen starken Druck von außen, genauer gesagt aus dem Norden. Die Volksrepublik China ist gerade dabei, als wichtiger Machtfaktor in der internationalen Wirtschaft eine immer größere Rolle zu spielen. Auch sie unterliegt dem Diktat des Wachstums. Neu ist, daß China inszwischen zu den Ländern gehört, die die Rolle der klassischen Kolonialstaaten übernommen haben. Das heißt, sie suchen nach Möglichkeiten, ihr Wachstum durch die Ausbeutung von Ressourcen in anderen Ländern abzusichern. Im Fall der VR China sei an deren Politik erinnert, sich in Afrika regelrecht einzunisten, auch und nicht zuletzt durch Ankauf von Ackerland in großem Stil, um die darauf wachsenden Produkte ausschließlich ins eigene Land zu importieren.

Auf dem Gebiet der Industrie ist China ein „nach Bauxit hungernder Tiger“. Die eigenen Vorräte des Landes scheinen so gut wie erschöpft, die vietnamesischen sind inzwischen dreimal so groß und leichter abzubauen. Und sie liegen sozusagen vor der Tür und die sonst bei der Bauxit-Gewinnung nötigen überlangen Transportwege entfallen.

Daß China einen großen Druck auf Vietnam ausüben kann, liegt auch an einem sehr großen Handelsüberschuß, der das Verhältnis der beiden Staaten kennzeichnet. China ist Vietnams größter Handelspartner, aber die Importe übersteigen bei weitem die Exporte. Der Bauxit-Handel könnte ein wichtiger Schritt hin zu einer ausgeglichenen Handelsbilanz sein. China wird zwar den Bauxit nicht bezahlen müssen (jedenfalls zunächst nicht), weil es mit bestehenden vietnamesischen Schulden aus den Importen verrechnet würde. Für Vietnam bestünde damit aber die Möglichkeit, diese Schulden ohne größere Anstrengungen abzubauen.

Das bedeutet, daß die Bauxit-Gewinnung nicht nur ein einfaches Problem der Ausbeutung von Rohstoffen ist, sondern außenpolitische Dimensionen aufweist. Der Druck auf Vietnam, Bauxit abzubauen, wird dadurch so groß, daß es schient, als ob das Projekt derzeit kaum zu stoppen sei.

Der Streit spielt sich angesichts dieser Lage also auf zwei Ebenen ab. Einmal gibt es den beschriebenen wirtschaftlichen und politischen Druck, der sowohl auf allgemeinen Wachstumsproblemen Vietnams, als auch auf starken internationalen, besser bilateralen Pressionen beruht. Die zweite Ebene betrifft die Gewinnung selbst und ihre „Risiken und Nebenwirkungen“. Diese sind es, die vor allem die Kontroverse beherrschen, während bei der Diskussion um die erste Ebene (China) unterschwellig und von ganz bestimmter Seite offen massiv die sogenannten Sicherheitsprobleme ins Spiel gebracht werden. Dies hat zur Folge, daß alte Ressentiments wieder aufbrechen und zu manchmal irrationalen Gerüchten führen.2

Die Frage der Wirtschaftlichkeit

Die Gegner des Bauxit-Abbaus, zu denen in Vietnam Wissenschaftler, Politiker und sogar Militärs gehören, verweisen zunächst darauf, daß der wirtschaftliche Gewinn, den man sich erhofft, gar nicht so groß sei. Sie stellen dazu verschiedene Kalkulationen auf.

Einmal könne man die Kosten, die die Erschließung und der Abbau der Lager verursachen, kaum mit dem Verkauf des Produkts hereinholen. Denn bei einer Gewinn- und Verlustrechnung müsse man bedenken, daß andere Industriezweige und vor allem die Landwirtschaft erhebliche Verluste erleiden würden. Denn für die Tagebau-Gewinnung müßten bestehende Kulturen (Kaffee, Kautschuk) zerstört werden3.

Der erwähnte Blogger Zung macht auf seiner Website folgende Rechnung auf: „Nach verschiedenen Quellen hat Vietnam etwa 2,1 Mrd. Tonnen Bauxitlager, die 'ökonomisch ausbeutbar' sind. Insgesamt gibt es 5,4 Mrd. Tonnen, von denen ein großer Teil jedoch mit den gegenwärtigen technischen und ökonomischen Mitteln noch nicht gewinnbringend abgebaut werden kann. Die Qualität des vietnamesischen Bauxits ist etwa als 'mittelmäßig' einzustufen. Das heißt, daß das primäre Abbauprodukt Aluminiumoxid etwa 40 % des geförderten Bauxits ausmacht. Trotzdem braucht man wegen unvermeidbarer Verluste bei Anwendung der gegenwärtigen Verarbeitungstechnologie 5 Tonnen Bauxit, um 1 Tonne Aluminiumoxid zu gewinnen. (…) Die zur Gewinnung von einer Tonne Aluminium¬oxid benötigte Menge Bauxit (5 Tonnen) ist etwa 100 US-$ wert, das heißt, eine Tonne des bearbeiteten exportfähigen Materials (Aluminiumoxid) ist 20 US-$ wert. Es handelt sich dabei um Preise, die China und die USA für eine Tonne inkl. Transport bezahlen. Nach dieser Rechnung sind die vietnamesischen Bauxit-Vorkommen, wenn man nur die 'ökonomisch ausbeutbaren' zählt, etwa 40 Mrd. US-$ wert. Die restlichen dürften irgendwann einmal mit etwa 10 Mrd. US-$ zu Buche schlagen. Das sind natürlich nur sehr grobe Schätzungen.“4

Das wären weniger als 2 % des vietnamesischen Bruttosozialprodukts. Das bedeutet aber nicht, daß durch die Bauxit-Erlöse die vietnamesische Wirtschaft jedes Jahr um 2 % steigen würde. Denn man muß bedenken, daß der Abbau auf 10 Jahre angesetzt ist, die jährliche Quote beträgt also nur 0,2 %. Da kann man kaum von einem bedeutenden Anschub für die vietnamesische Wirtschaft sprechen.

Diese Rechnung ist, wie alle solchen Kalkulationen von interessierter Seite, von einer gewissen Abstraktion oder Idealisierung geprägt, und eine ähnliche Prognose der vietnamesischen Regierung sähe vielleicht anders aus. Aber eine solche liegt nicht vor (ist jedenfalls nicht in den mir zugänglichen Quellen veröffentlicht worden).

Die ökologischen und sozialen Folgen

Die Hauptargumente der Gegner sind aber die ökologischen Folgen, und zwar sowohl die kurzfristig, d. h. direkt bei Abbau entstehenden, als auch die langfristigen Schädigungen der Umwelt.

Die wichtigste direkte Folge des Abbaus von Bauxit ist (und das trifft für die Vorkommen in aller Welt zu) das Anfallen von großen Mengen an unbrauchbarem Müll. Der heißt in diesem Zusammenhang „roter Schlamm“ (red mud) und entsteht, wenn aus dem Bauxit Aluminiumoxid gewonnen wird.5 Das Problem besteht darin, daß man den roten Schlamm nicht recyceln oder vernichten kann, sondern irgendwo lagern muß. Länder, die dafür nicht (wie Australien) auf unbewohnte Wüstengebiete ausweichen können, müssen ihn in Seen oder ausgehobenen Gruben entsorgen. Das führt in dicht besiedelten Gegenden (und die Lagerstätten in Vietnam gehören dazu) zur Gefahr der Beeinträchtigungen der Gesundheit und der Lebensbedingungen der Menschen. Ob langfristige Schädigungen der Umwelt durch den roten Schlamm6 ausgelöst werden, ist umstritten, ebenso wie die Frage der Kontamination von Flüssen und Grundwasser.

Möglicherweise weit einschneidendere Folge des Bauxit-Abbaus sind die Veränderungen der Natur und der Landschaft, sowie der Kulturen und der Landwirtschaft, die er verursacht. Es müssen große Areale von ihrer Humusschicht befreit werden, um an die bauxithaltigen Lager zu kommen. Dazu muß, wie im vietnamesischen Hochland der Fall, Land gerodet werden. Das bedeutet einen sehr folgenreichen Eingriff in eine bestehende Kultur und ein langfristig entstandenes Habitat. Wälder werden abgeholzt, Felder werden zerstört, die Erwerbsgrundlage vieler Menschen vernichtet, die umgesiedelt werden müssen und denen neues Ackerland zugewiesen werden muß.

Dies würde in einem Gebiet Vietnams geschehen, das schon ohne diesen Eingriff traditionell benachteiligt war, und in dem erst in den letzten Jahrzehnten eine Entwicklung stattgefunden hat, die zu einem ökonomischen Aufschwung führte. Das Forcieren von industrieller Landwirtschaft (Kaffee, Tee, Kautschuk) war stets von der Regierung unterstützt worden, viele Verbesserungen der Infrastruktur, wie der Bau der neuen Fernstraße vom Norden in den Süden durch das Berggebiet, sind bereits geschaffen worden. Diese Errungenschaften würden, so die Gegner des Projekts, wieder in Frage gestellt.

Dazu kommt, daß die zentralistisch betriebene Förderung des wirtschaftlichen Aufschwungs der Berggebiete mit politischen Nebenwirkungen verbunden war, die gelegentlich zu regelrechten Unruhen geführt hatten.7 Teile der ethnischen Minderheiten wollten nicht ihre traditionellen Lebensformen (z.B. die Brandrodung) einem für sie abstrakten Aufschwung opfern, auch wurde der massive Zustrom von Mehrheits-Vietnamesen (Kinh) in die Bergregion mißtrauisch aufgenommen.

Wie immer man solche Auseinandersetzungen einschätzt, sie dürften mit dem Bauxit-Abbau neuen Zündstoff für soziale Unzufriedenheit schaffen, die, was man auch nicht unterschätzen darf, vietnamfeindlichen Elementen im Ausland weitere Anlässe für Propaganda und Interventionen geben würde. Das Bauxit-Projekt wird also ausgerechnet in einer Region entstehen, die auch noch politisch prekär ist.

Die Sicherheitsfrage

Ob es gerechtfertigt ist oder nicht, bei der Debatte um den Bauxit-Abbau spielt eine wichtige Rolle, daß der ausländische Partner, mit dem die Regierung zusammenarbeiten will, die VR China ist. Obwohl die rein makroökonomische Betrachtung, wie oben dargestellt, genügend Motive dafür liefert, daß ausgerechnet dieses Land besonders in Frage kommt für eine Kooperation, so muß man bedenken, daß es sich dabei um den historischen Erzfeind Vietnams handelt, unter dessen Herrschaft das Land mehr als tausend Jahre stand und der erst vor 30 Jahren eine militärische Invasion versucht hat.

Nun war China ursprünglich nicht der einzige Partner Vietnams in diesem Projekt. Schon im Juni 2008 hatte die vietnamesische Regierung mit der Firma Aluminum Company of America (ALCOA), dem weltgrößten Aluminium-Konzern, der vor allem auch in Australien aktiv ist, einen Joint Venture-Vorvertrag unterzeichnet, der die Gewinnung und Raffinerie von Bauxit im Hochland beinhaltete. Die vietnamesische Vietnam National Coal-Mineral Industries Group (VINA¬COMIN) wurde beauftragt, als Partner zu fungieren. Schon am 7. Mai 2008 wurde dann vereinbart, daß ALCOA 40 % der Bauxit-Vorkommen im Hochland erschließen darf. An dem gemeinsamen Unternehmen sollte der vietnamesische Staat (durch VINACOM) mit 51 % beteiligt sein, zu 40 % ALCOA der Aktien. Der Rest sollte an die Börse gehen. Nach den Bestimmungen des Vertrags sollen die Gewinne mit 10 % besteuert werden.8 Der Sprecher von ALCOA, kommentierte den Deal so: „Die Kombination von Vietnams regionalen Kenntnissen und erprobten Fähigkeiten zur erfolgreichen Ausbeutung der mineralischen Ressourcen des Landes und Alcoas weltweit beste Aluminium-Verarbeitungstechnologie und nachhaltiger Entwicklungsphilosophie sowie unsere feste Absicht, lokale Mitarbeiter einzustellen, auszubilden und zu trainieren schaffen eine außergewöhnlich starke Partnerschaft, die in der Lage sein wird, die Interessen der vietnamesischen Bevölkerung und die von Alcoa für Generationen zu sichern.“9

Im selben Monat schloß VINACOM dann aber auch mit der Aluminium Corporation of China (CHALCO10) einen ähnlichen Vertrag über eine Beteiligung von 20 % am Tan Rai Projekt in der Provinz Lam Dong.11 Im Zusammenhang mit beiden Verträgen wurden auch Absichten der Regierung laut, eine Eisenbahnlinie von Lam Dong an die Küste zu bauen.

Schließlich sei noch erwähnt, daß Rußland Vietnam angeboten hat, eine Raffinerie zu bauen, in der nicht nur der Bauxit in Aluminiumoxid raffineriert, sondern auch das Endprodukt Aluminium produziert werden soll, eine sehr große Industrieanlage, die nicht im Hochland, sondern in der Provinz Binh Phuoc stehen soll.

Abgesehen von diesem letzten Vorschlag, der sehr ferne Zukunftsmusik ist, wird auch in den Artikeln der Bauxit-Gegner praktisch überhaupt nicht auf die amerikanisch-australische Alternative eingegangen. Dies könnte daran liegen, daß es nach Mitte 2008 um das ALCOA-Projekt merkwürdig still geworden ist (eventuell auf chinesischen Druck).12 Der Hauptgrund aber dürfte sein, daß die USA als ehemalige, aber Feinde weit weniger Ressentiments hervorrufen als China. Es gehört zu den Konstanten der Geschichte Vietnams, daß die historisch viel aktuelleren Auseinandersetzungen mit den USA (und schon gar mit Frankreich) weit weniger im kollektiven Gedächtnis in der Form eines Traumas präsent sind als die jahrhundertealten mit dem nördlichen, stets übermächtigen Nachbarn.

Ein Rahmenabkommen über die Zusammenarbeit bei der Bauxit-Gewinnung war schon beim Asien-Pazifik Gipfel im November 2006 ausgehandelt worden, bevor es dann 2008 zur feierlichen Unterzeichnung des eigentlichen Vertrags über die Erschließung kam, bei der die gesamte Regierungs- und Parteispitze anwesend war.13 Über den Inhalt gab es kaum genaue Informationen. Es heißt, daß CHALCO keine Eigentumsrechte an den Gebieten, in denen die Firma tätig ist erwerben dürfe. Anscheinend hat die chinesische Seite ihrerseits in den Verhandlungen darauf bestanden, daß keine anderen Investoren beteiligt sein sollten.

Bei einem Treffen zwischen dem Generalsekretär der KP Nong Duc Manh und dem chinesischen Ministerpräsidenten Hu Jintao im März 2009 soll China gefordert haben, der größte Abnehmer für Bauxit von Vietnam zu sein und chinesische Arbeiter einreisen zu lassen.

Diese sehr offiziellen Vereinbarungen waren in der Öffentlichkeit anscheinend problemlos hingenommen worden. Den direkten Anlaß zur Erweckung vergangener Traumata haben dann wohl beim Anlaufen der Erkundungsarbeiten die Chinesen selbst gegeben. Das Vorgehen der mit der Exploration beauftragten Fachleute mußte zumindest merkwürdig anmuten. Sie kamen mit einem Heer von Hunderten von Arbeitern nach Vietnam, die sogleich in eigenen, abgeschlossenen Dörfern angesiedelt wurden, wo sie ihre eigene Infrastruktur aufbauten, ihre eigene Sprache und Lebensformen praktizierten.

Dies war anscheinend die Art von Provokation, welche die Ressentiments auslöste. Von nun an wird in den Blogs (und interessanterweise vor allem in Verlautbarungen aus katholischen Quellen) diese Bauxit-Frage mit allem in Verbindung gebracht, was sich an Konflikten mit China in den letzten Jahrhunderten und vor allem Jahrzehnten abgespielt hat. Vieles davon scheinen einfach Gerüchte zu sein: Unter den illegal eingeschleusten Arbeitern könnten sich Militärs und Spione befinden, und manche behaupten, diese Arbeiter hätte auch die Anweisung, mit vietnamesischen Frauen möglichst viele Kinder zu zeugen, um die vietnamesische Gesellschaft zu sinisieren, chinesische Exklaven entstehen zu lassen, die zugleich, weil in einer strategisch wichtigen Region liegend, zu Aufmarschgebieten für eine chinesische Invasion dienen könnten.14

Der katholische Erzbischof von Ho Chi Minh-Stadt veranstaltete am 24. Juli 2009 eine Konferenz über „Grenzprobleme zwischen Vietnam und China“, auf der die vietnamesische Regierung beschuldigt wurde, dem Druck Chinas in allen strittigen Fragen nachgegeben zu haben und auch jetzt immer noch weiter Konzessionen mache. So seien die kontinentalen und maritimen Grenzen zwischen beiden Ländern „zu Ungunsten Vietnams“ festgelegt worden. Außerdem wurde daran erinnert, daß China schon vor 50 Jahren eine Karte veröffentlicht habe, in der die Volksrepublik das gesamte „südchinesische Meer“15 als sein Hoheitsgebiet betrachte, inklusive der umstrittenen Spratley- und Paracel-Inseln. Vor allem die „kommunistische“ Regierung habe nach 1975 „hunderte von qkm Gebiete zugunsten Chinas aufgegeben“. Jetzt sehe sie tatenlos zu, wie Bauern von ihrem Land vertrieben und „zehntausenden von chinesischen Arbeitern“ überlassen würde.16

Die Äußerungen des Erzbischofs von Ho Chi Minh-Stadt, denen sich sein Amtsbruder in Hanoi sofort anschloß stehen im Zusammenhang mit einer von einigen Kirchenfunktionären und diskreter auch vom Vatikan behaupteten Katholikenverfolgung in Vietnam, aber es ist interessant, daß die Kirchenfürsten auch das Chinatrauma bedienen.

Solche Stellungnahmen, die faktisch in der gesamten Bauxit-Politik der VR China die Vorbereitung oder gar schon einen Teil eines Plans zur endgültigen (Wieder-) Eroberung Vietnams sehen, sind in der ganzen Debatte mehr oder weniger stark präsent. Obwohl die dabei zur Sprache kommenden Konflikte (Grenzen, Inseln) trotz vieler offizieller Verlautbarungen einer großen Freundschaft und Einigkeit tatsächlich existieren, ist die Behauptung, China betreibe den Bauxit-Deal nur aus strategisch-militärischen Eroberungsgründen, zumindest eine sehr einseitige Interpretation der Motive der Volksrepublik. Wenn dann in diesem Zusammenhang von einem „heimlicher Deal zwischen Vietnam und China mit strategischen Implikationen“17 gesprochen wird, so fragt man sich, welches Interesse die vietnamesische Regierung daran haben soll, wegen eines dann eher marginalen Problems die lang erkämpfte Unabhängigkeit aufs Spiel zu setzen. In dem Zusammenhang habe ich in Gesprächen in Vietnam immer gehört, die Regierung sei schwach und feige und ordne sich aus Angst vor der schieren Macht des nördlichen Nachbarn dessen Interessen unter. Daß eine solche Abhängigkeit wirtschaftlich besteht, steht außer Zweifel, daß sie auch politisch sich so auswirkt, erscheint mir wenig plausibel.

Der Widerstand

Die von Wissenschaftlern und einigen Politikern in Vietnam vorgebrachten Einwände gegen das Bauxit-Projekt konzentriert sich weniger auf solche Aspekte, sondern auf wirtschaftliche, ökologische und soziale Fragen. Professor Vo Quy, ein auch im Ausland berühmter Forstwissenschaftler, ist zum Beispiel auch der Meinung, die Umweltschäden würden bei weitem die wirtschaftlichen Vorteile übertreffen. „Ich bin für ökonomischen Fortschritt, aber gegen die Bauxit-Bergwerke“, denn sie würden mit dem Bergland „eine Region von phantastischer Schönheit mit reichen Möglichkeiten zum Ökotourismus und einer höchst produktiven Landwirtschaft“ zerstören.18

Der öffentlich wahrnehmbare Widerstand begann Anfang 2009 mit Petitionen von Wissenschaftlern, Umweltaktivisten, Kriegsveteranen und Anhängern einer illegalen buddhistischen Vereinigung. In diesem Appellen wird der vollständige Stop des Bauxit-Projekts im Hochland gefordert. Die Petition der Viet Ecology Foundation19 etwa berief sich darauf, daß Vietnam mehrere Konventionen von UNO und UNESCO verletze, darunter die über die Unantastbarkeit des kulturellen Erbes und die zum Schutz der Rechte von Minderheiten. Vietnam hatte sogar im November 2005 zusammen mit der UNESCO einen Vertrag zum „Schutz der Gong-Kultur“20 unterzeichnet. Es wird konstatiert, daß mit dem Bauxit-Projekt gegen alle diese Verträge verstoßen werde, indem eine blühende und geschützte Kultur im Hochland vernichtet werde.

Die meisten anderen Petitionen, deren Anzahl kaum noch überschaubar ist, konzentrieren sich auf die Risiken und zu erwartenden Folgen des Bauxit-Abbaus in der Region. Dabei kommen sowohl die technischen, als auch die ökologischen, sozialen und politischen Konsequenzen zur Sprache, gelegentlich wird auch unterstellt, bestimmte Politiker würden das Projekt forcieren, weil sie sich daran persönlich bereichern wollten. In dem Zusammenhang wird der vietnamesischen Regierung auch die Nichtbeachtung demokratischer Entscheidungs- und Informationsprozesse vorgeworfen. Sie habe die ganzen Verhandlungen mit China und die Vorbereitungen des Projekts geheimgehalten oder zumindest keine breite Diskussion darüber initiiert .

Die Petitionen wurden zumeist ausschließlich im Internet veröffentlicht und verbreitet. Weder in der vietnamesische, noch in der westliche Presse wurde auch nur einer der Texte veröffentlicht, und es wurde nur ganz vereinzelt darüber berichtet. Die Debatte beschränkte sich lange Zeit auf den Austausch von Blogs und das Sammeln von Unterschriften. Dies änderte sich erst, als eine prominente Figur eingriff. General Vo Nguyen Giap, der legendäre Held von Dien Bien Phu, stellte sich schon im Januar 2009 erstmals auf die Seite der Gegner - ein unerhörter Vorgang.

„Giaps letzte Schlacht“

Der General verfaßte insgesamt drei offene Briefe, die wir in diesem Heft vollständig dokumentieren. Sie richten sich an die Regierung und Parteispitze und wurden in der vietnamesischen Presse trotz der Prominenz des 98 Jahre alten Verfassers kaum beachtet. An diesen Texte zeichnen sind drei Aspekte besonders bemerkenswert: Einmal erwähnte der General mit keinem Wort. die militärischen Sicherheits-überlegungen im Zusammenhang mit China. Er spricht zwar von „Sicherheit“, damit ist aber offensichtlich die Bewahrung der Bevölkerung vor Schäden gemeint. Zum anderen bekennt er sich zwar dazu, ein Gegner des Projekts zu sein, erwartet aber offenbar nicht mehr ein Einlenken der Regierung in dem Sinne, daß sie das Projekt vollkommen einstellt. Er plädiert also nur für eine stärkere Beachtung der kritischen Punkte, die er kurz aufzählt und fordert die Einhaltung demokratischer Prinzipien bei der Untersuchung, der Kontrolle und der öffentlich zu verhandelnden verantwortungsvollen Entscheidung. Das dritte Element muß jeden erstaunen, der den General und die Umgangsformen in Vietnam, auch unter politischen Genossen, kennt. Die Briefe sind in einer direkten, klaren und von höflichen Wendungen freien Sprache formuliert. Im zweiten Text erwähnt er sogar kritisch, daß er auf seinen ersten Brief keine Antwort erhalten habe - eine Bloßstellung der Adressaten, die man in Vietnam normalerweise vermeidet.

Es wird in Giaps Briefen auch inhaltlich etwas mitgeteilt, was nicht mehr so bekannt war: Es hat kurz nach der Unabhängigkeit (1980) in Vietnam schon einmal Pläne gegeben, die Bauxit-Vorkommen zu erschließen. Man sei nach intensiven Beratungen mit sowjetischen Spezialisten aber davon abgekommen, und zwar wegen der drohenden Umweltschäden..

„Kriegsheld in Vietnam zwingt Regierung, zuzuhören“ titelte die New York Times21, und allgemein sah man das im Westen so, daß erst der General die Regierung zum Handeln gezwungen habe. Dies scheint mir eine allzu vereinfachende Sicht zu sein. Es ist wohl so, daß dieser Fall einfach zu spektakulär ist, als daß man ihn hätte weiterhin aussitzen können, zumal auch andere Militärs, Politiker und sogar der Umweltminister sich kritisch zu Wort meldeten. Regierung und Partei hätten auch ohne die Intervention des Generals ihr Vorgehen ändern müssen. Andererseits erscheint es fraglich, ob der sieggewohnte Giap diese seine „letzte Schlacht“ gewinnen wird.

Premierminister Nguyen Tan Dung berief am 9. April 2009 Wissenschaftler und Politiker zu einem Seminar zusammen, auf dem alle Implikationen des Projekts kritisch diskutieren werden sollten.22 Der stellvertretenden Ministerpräsident Hoang Trung Hai hielt auf diesem Seminar eine Rede, der zufolge der Masterplan der beiden Projekte überarbeitet werde, um ihn „den neuen Bedingungen und einer neuen Datenbasis anzu¬pas¬sen“. Alle Beteiligten sollten sich intensiv bemühen, die Folgen für die Umwelt, die Menschen und ihr Leben möglichst sorgfältig zu ergründen, um sie weitgehend zu minimieren. „Die Bauxit-Projekte werden keinen wirklichen Erfolg ernten und der Entwicklung der Region einen Anstoß geben können, wenn sie nicht in einem lokalen und nationalen Konsens gestaltet werden.“ Und man wolle die Bauxit-Projekte „nicht um jeden Preis“ durchsetzen .23

Direkt danach veröffentlichte der Premierminister ein Papier, in dem detaillierte Vorschriften für das weitere Verfahren formuliert werden.

Die befaßten Ministerien werden aufgefordert, vor allem bei der Entsorgung der Abfälle „den Schutz der Umwelt zu beachten“. Eine Delegation aus Vertretern verschiedener Ministerien sollte eine Inspektionstour durch die betroffenen Gebiete machen und genauestens die Gefahren für die Umwelt erkunden. Zusammen mit den Provinzregierungen (Volkskomittees) und der VINA¬COM sollen sie die Deponien für den Abfall bestimmen und nach ökologischen Gesichtspunkten auswählen. Die Ergebnisse sollen dem Ministerpräsidenten im Juni vorgelegt werden.24

Der geforderte Bericht, der eigentlich seit neuestem gesetzlich vorgeschrieben ist25, ließ aber im Juni immer noch auf sich warten. Im Mai sagte der Vizeminister für Handel und Industrie, Le Duong Quang der dpa: „Der Report ist in Planung, aber es ist noch nicht klar, wer ihn erstellen soll.“ VINACOMIN erklärte sich für nicht zuständig für einen solchen Report. Und Quang: „Wir haben kein Geld, den Report zu bezahlen.“26 Daraufhin wurden auf Anweisung der Regierung Ende April alle Arbeiten an den Projekten in den Provinzen Lam Dong und Dak Nong vorerst gestoppt.

Günter Giesenfeld


Anmerkungen:

1 So der Blogger Zung auf der Website der Bauxit-Gegner http://bauxitevietnam.info/1270/bauxite-vn-comments-zungs-website

2 In der innervietnamesischen Diskussion geschieht dies eher im privaten Rahmen, während die Stimmen von außen, aus der Diaspora und den offen antikommunistischen Kreisen, diese sehr stark betonen.

3 Zu den Details geologischer und ökologischer Natur siehe den Artikel in diesem Heft.

4 http://bauxitevietnam.info/1270/bauxite-vn-comments-zungs-website/

5 Genaueres dazu in dem Artikel in diesem Heft 6 der, wie an anderer Stelle ausgeführt, nicht direkt giftig, sondern ätzend, trotzdem aber sehr umweltschädlich ist.

7 Vgl VNK 2/2004

8 Quelle: Reuters 05. 06. 2008

9 Eastern Daylight Times, 24. 06. 2008

10 Manchmal auch CHINALCO

11 Auch dieser Deal war schon länger vorbereitet worden. S. u.

12 Auf der ALCOA-Website findet man für 2009 keinerlei Vietnam betreffende Einträge, dafür Berichte von mehreren Kontakten mit China.

13 Es gehört wohl mit zu den Skurrilitäten der Beziehungen zwischen den beiden asiatischen Ländern, daß die Verhandlungen mit den USA demgegenüber eher diskret geführt wurden.

14 Es gibt Gerüchte, China habe auch in Laos große Mengen Landes aufgekauft, das direkt an der Grenze zu Vietnam liegt, obwohl die dortigen Bauxit-Vorkommen nach Presseberichten (AP) von australischen Firmen erkundet werden sollen.

15 In Vietnam „Ostmeer“ genannt.

16 Blogger J.B. An Dang und Asianews vom 01. 06. 2009.
http://www.oecumene.radiovaticana.org/.

17 So der Dissident Nguyen Tien auf der Website des arabischen Senders Al Jazeera: http://english.aljazeera.net/

18 Vo Quy bei Al Jazeera, a. a. O. Vo Quy ist auch in der Frage Agent Orange engagiert. Vgl. seinen Beitrag in diesem Heft.

19 Nachzulesen unter: http://www.gopetition.com/petitions/stop-bauxite-mining-projects-in-central-highlands-of-vietnam.html

Eine andere Petition stammt von der in Vietnam verbotenen “Partei für Demokratie” Viet Tan, die vor allem im Ausland aktiv ist: Der Wortlaut befindet sich auf der Website www.bauxitevietnam.info.

20 Gongs sind Hauptinstrumente der traditionellen Musik der Hochland-Minderheiten. Vietnam bemüht sich, diese Kultur als Welt-Kulturerbe anerkennen zu lassen.

21 Am 29. 06. 2009

22 Giaps zweite Botschaft war ein Telegramm an dieses Seminar.

23 http://english.vietnamnet.vn/politics/2009/04/841344

24 VNS 19. 08. 2009

25 Die Bauxit-Verträge wurden geschlossen, bevor ein neues Umweltgesetz erlassen war.

26 http://tinquehuong.wordpress.com2009/05/11/


Quelle: http://www.fg-vietnam.de/VNK/Bauxit%20Vietnam.html