Freitag, 26. März 2010

„Google setzt China unter Druck“

Von FOCUS-Online-Autorin Claudia Frickel

Der China-Experte von Amnesty International erklärt im Interview, ob Googles Weigerung, Suchergebnisse zu zensieren, ein Vorbild für andere Konzerne sein kann.

FOCUS Online: Wie beurteilt Amnesty International Googles Rückzug aus China?

Dirk Pleiter: Wir begrüßen es, dass Google nicht mehr bereit ist, sich der Zensurmaßnahmen der chinesischen Behörden zu unterwerfen und sich damit potenziell der Beihilfe zur Einschränkung des Rechts auf Meinungsfreiheit schuldig zu machen. Es ist zu bedauern, dass die Gespräche mit der chinesischen Regierung nicht zu einem Erfolg geführt haben. Was letztendlich zählt, ist eine Verbesserung bei der Meinungsfreiheit in China.

FOCUS Online: Könnte Google die chinesische Regierung damit auf lange Sicht vielleicht doch zwingen, mehr Meinungsfreiheit zuzulassen?

Pleiter: Die Reaktion der chinesischen Regierung lässt darauf schließen, dass man das mit dem Vorgehen von Google verbundene politische Signal sehr ernst nimmt. Die Regierung sieht sich hier ohnehin zu einem Spagat gezwungen. Auf der einen Seite ist das Internet von zunehmender Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und entsprechend wird es in China gefördert. China ist das Land mit der am schnellsten wachsenden Internet-Community. Auf der anderen Seite kann das Internet aus Sicht der Behörden zu politischen Zwecken missbraucht werden, was zu den bekannten Zensurmaßnahmen führt. Das Vorgehen einer wirtschaftlich so bedeutenden Firma wie Google setzt die chinesische Regierung unter Druck, mehr Freiheit zuzulassen. Wir hoffen, dass dies langfristig zum Erfolg führen wird.

FOCUS Online: Welche Auswirkungen hat Googles Rückzug auf die Menschenrechte im Land? Menschenrechtsaktivisten können künftig möglicherweise ja nicht mehr via Google Mail (Gmail) kommunizieren.

Pleiter: Google hat bewusst in China seinen Mail-Service nicht angeboten. Allerdings verwenden chinesische Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten internationale Google-Mail-Konten. Diese waren von den Hacker-Angriffen im Herbst 2009 betroffen, die Google dazu veranlassten, sein China-Geschäft zu überdenken.

FOCUS Online: Wie relevant sind unzensierte Suchergebnisse überhaupt für die Menschenrechte im Land. Gibt es nicht dringendere Probleme in China in Bezug auf Menschenrechte und Meinungsfreiheit?

Pleiter: Es geht nicht nur um den freien Zugang zu Suchergebnissen, sondern generell um Meinungs- und Pressefreiheit. Dies sind nicht nur an sich elementare Menschenrechte. Meinungs- und Pressefreiheit sind auch von zentraler Bedeutung, um andere Menschenrechte zu schützen, indem beispielsweise Menschenrechtsverletzungen und sonstige Missstände öffentlich gemacht werden.

FOCUS Online: Sollte der Rückzug ein Vorbild auch für andere Konzerne sein?

Pleiter: Google hat demonstriert, dass die ethischen Prinzipien, auf die sich der Konzern selbst verpflichtet hat, nicht nur leeres Gerede sind, sondern auch Konsequenzen für das wirtschaftliche Handeln haben. Damit bekennt sich die Firma auch zu der Pflicht der Wirtschaft, sich um die Einhaltung der Menschenrechte zu bemühen und diese zu fördern. Googles Handeln ist auch deswegen hervorzuheben, weil andere Firmen bereit waren, auch dann mit den chinesischen Behörden zu kollaborieren, als Menschenrechtsverletzungen drohten. Im Fall von Yahoo hat dies dazu beigetragen, dass ein Journalist aus politischen Gründen zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt wurde.

FOCUS Online: China hat Google zur Zensur gezwungen. Ist das Vorgehen ein negatives Vorbild für andere Länder?

Pleiter: Das Vorgehen der chinesischen Behörden sollte differenziert betrachtet werden. Durch die Zulassung des Internets in China ist es dort trotz der Zensurmaßnahmen heute um die Informationsfreiheit besser gestellt als etwa noch vor etwa zehn Jahren. Auch richtet sich nicht jede Zensurmaßnahme der Behörden gegen politisch missliebige Inhalte, sondern beispielsweise auch gegen pornografische Inhalte. Aufgrund des Ausmaßes der Zensur des Internets hat das Vorgehen der chinesischen Behörden eine Bedeutung über das Land hinaus. Entgegen landläufiger Meinung zeigt sich, dass das Internet im erheblichen Umfang kontrolliert werden kann. Damit droht China zu einem falschen Vorbild für andere Länder zu werden.

http://www.focus.de/digital/internet/google/amnesty-international-google-setzt-china-unter-druck_aid_492589.html